Früherkennung von Unternehmenskrisen unter dem Einfluss der aktuellen Konjunkturentwicklung
1. StaRUG – Krisenfrüherkennung
Der Gesetzgeber hat seit 01.01 2021 mit dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz kurz StaRUG, einen Gesetzesrahmen geschaffen, der unter anderem vorsieht, dass Kapitalgesellschaften, größenunabhängig, dazu verpflichtet sind, ein Krisenfrüherkennungssystem im Unternehmen einzurichten.
Diese Verpflichtung ist in Unternehmer- und Unternehmenskreisen, insbesondere bei inhabergeführten KMU-Unternehmen bisher weitgehend unbekannt.
2. Aktuelle Geschäftslage der Unternehmen lt. DIHK-Konjunkturumfrage Frühsommer 2023
Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung wird in Form einer technischen Rezession beschrieben. In den nachfolgenden Ausführungen habe ich Ergebnisse folgender „Institutionen“ zusammengefasst:
- DIHK Konjunkturumfrage Frühsommer 2023
- Ifo Konjunkturumfrage Juni 2023
- Creditreform – Insolvenzzahlen Deutschland 1. Halbjahr 2023
DIHK Konjunkturumfrage Sommer 2023 – Zusammenfassung:
„Insgesamt gelangen die Unternehmen zu einer gleichbleibend und damit weiterhin unterdurchschnittlichen Lagewertung. Die schwach positive Entwicklung des Jahresbeginns setzt sich damit nicht fort.“.
Zusammengefasste Einschätzung der eigenen Unternehmenslage:
34 % gut
51 % befriedigend
15 % schlecht
Branchenabhängig variieren diese Zahlen.
An positiven Einflussfaktoren werden genannt:
- Entspannung bei den Lieferengpässen
- Stabilisierung der Energiepreise
Negative Einflussfaktoren:
- Steigende Zinsen
- Weiterhin hohes Niveau bei Energie und Erzeugerpreise
- Schleppende Weltkonjunktur
Besondere Branchenmerkmale, bzw. Ausprägungen:
- Handel: 20 % schätzen ihre aktuelle Lage als schlecht ein
- Industrie: 16 % schätzen ihre aktuelle Lage als schlecht ein
- Baugewerbe: 34 % berichten über eine problematische Finanzlage.13 % berichten über Liquiditätsengpässe. Der Anteil, der über Eigenkapitalrückgänge berichtet steigt von 16 auf 18 %.
Aktuelle Finanzierungssituation:
37 % der befragten Unternehmen stufen ihre gesamte Finanzlage als problematisch ein. Dabei wird über erschwerte Finanzierungen bei Bankkrediten berichtet.
Außerdem berichten 19 % der Unternehmen über Eigenkapitalrückgänge. Leider äußert sich die DIHK-Studie nicht, worin die Ursache der Eigenkapitalrückgänge liegt.
Bilanziell betrachtet gibt es herfür nur zwei Möglichkeiten:
- Verluste
- Ausschüttungen an die Gesellschafter (in schwierigen Zeiten, ein problematisches Vorgehen)
Sofern nur die Quote des wirtschaftlichen Eigenkapitals gemeint sein sollte, besteht auch noch die Möglichkeit der Zunahme der Bilanzsumme. Bei gleichbleibendem Eigenkapitalbetrag reduziert sich das quotale Eigenkapital.
7 % der Unternehmen berichten, dass deren Bilanzen durch eine hohe Verschuldung belastet sind.
Besonderheiten bei kleineren Unternehmen:
43 % der kleinen Unternehmen mit bis zu 19 Beschäftigten berichten über eine problematische Finanzlage. Bei Großunternehmen ab 1000 Beschäftigten berichten nur 22 % über eine problematische Finanzlage.
Fremdkapitalbeschaffung:
Der Anteil der Unternehmen, die von einer besonderen Beeinträchtigung ihrer Finanzierung berichten, ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich von 22 auf 33 % gestiegen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei auch der deutliche Anstieg der Zinsen.
36 % der Unternehmen deren Finanzierung von den hohen Zinsen besonders beeinträchtigt ist, beabsichtigen ihre Investitionen zu reduzieren.
Die Zinshöhe selbst wird mittlerweile von 21 % der Unternehmen als problematisch betrachtet.
An Top-Geschäftsrisiken werden genannt:
- Energie und Rohstoffpreise
- Fachkräftemangel
- Arbeitskosten
- Inlandsnachfrage
- Wirtschaftspolitik
Fassen wir die Erkenntnisse der IHK-Umfrage noch einmal zusammen:
- Branchenübergreifend wird von einer teilweise schwachen Lage berichtet. Von besonderer Bedeutung, insbesondere für kleinere Unternehmen, ist die Entwicklung der Liquidität und der Finanzierungsmöglichkeiten.
3. Ifo Geschäftsklimaindex
Ergänzt werden diese Ergebnisse durch den Ifo Geschäftsklima-Index vom Juni 2023. Dieser fällt nach 91,5 Punkten im Mai auf 88,5 Punkte im Juni und damit auf einen neuen Tiefstand. Der Index für die Geschäftserwartungen reduziert sich ebenfalls von 88,3 auf 83,6 Punkte. Das ist der größte Punkteabsturz seit Juli 2022.
Bei diesen Erwartungen kann man sich die Frage stellen, ob, bzw. wie sich diese externen Einflüsse auf die Entwicklung des eigenen Unternehmens auswirken könnten und wie sich darauf aufbauend, das Risikoumfeld entwickelt.
4. Insolvenzbericht 1. Halbjahr 2023 der Creditreform Wirtschaftsforschung
Wenn man diese Erkenntnisse dann noch in Verbindung mit der aktuellen Entwicklung der Insolvenzzahlen setzt, stellt sich die Frage, wie sich die weitere Entwicklung der Insolvenzen vollziehen wird. Insbesondere der Anstieg der Insolvenzkurve. Im ersten Halbjahr wurden 8400 Unternehmensinsolvenzen registriert. Das ist eine Zunahme um 16,2 % im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022. Eine höhere prozentuale Zunahme gab es zuletzt im Vergleichszeitraum 2002. Dies berichtet die Creditreform in ihrem aktuellen Bericht.
Auf Grund dieser Entwicklung, sollte sich jeder verantwortlich handelnde Unternehmer mit der Frage beschäftigen, ob, bzw. wie groß ein potenzielles Insolvenzrisiko des eigenen Unternehmens ist.
Sollten die vorstehend beschriebenen Ausführungen dazu führen, dass unser Unternehmen in die Nähe einer Insolvenzantragspflicht kommt bzw. kommen kann, stellt sich die Frage: Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, um das eigene Unternehmen resilienter zu machen?
5. StaRUG und Krisenfrüherkennung
Mit dem StaRUG ist u.a. beabsichtigt, sich anbahnende Unternehmenskrisen möglichst frühzeitig zu erkennen und damit den Geschäftsleitungsorganen die Möglichkeit zu geben, frühzeitig Maßnahmen zur Vermeidung und Bewältigung existenzgefährdender Entwicklungen einzuleiten und umzusetzen.
Ein wesentlicher Hintergrund dieser Regelung besteht darin, dass Fehlentwicklungen, insbesondere in den frühen Krisenphasen der Stakeholder, der Strategie- sowie der Produkt- und Absatzkrise und die damit verbundenen Risiken häufig zu spät erkannt werden.
Oftmals beginnt man in Unternehmen erst dann mit Maßnahmen der Gegensteuerung, wenn bereits eine nicht mehr zu übersehende Liquiditätskrise eingetreten ist. Gelegentlich noch nicht einmal in diesem Stadium. Ein Gegensteuern in der Liquiditätskrise ist auf Grund fehlender Liquiditätsreserven und durch den zeitlichen Druck häufig mit enormen Risiken verbunden, ggf. nicht mehr möglich. Außerdem bestehen Haftungsrisiken in Zusammenhang mit möglicher Insolvenzverschleppung.
Das StaRUG gilt für alle Kapitalgesellschaften, d. h. auch für kleinere und mittelgroße GmbH‘s und für GmbH & Co. KG’s.
Dabei ist zu beachten, dass das StaRUG für Kapitalgesellschaften in allen Unternehmens-phasen gilt und nicht nur für Unternehmen in der Krise (drohende Zahlungsunfähigkeit).
Verstoßen die Überwachungsorgane gegen ihre Pflichten, entstehen für Geschäftsleiter Haftungsrisiken. Schadensersatzansprüche ergeben sich durch bestehende Gesetze, die den Geschäftsleiter veranlassen sollen, die „Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsleiters“ anzuwenden. Zum Beispiel nach § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG und § 93 Abs. 1 und 2 AktG.
Die nachfolgenden Ausführungen geben Inhalt und Ausgestaltung eines Krisenfrüherkennungssystems für KMU-Unternehmen in Kurzfassung und nur bei einem wesentlichen Element wieder.
Wesentlicher Bestandteil eines Krisenfrüherkennungssystems:
Ein wesentliches Element hierfür bildet ein betriebswirtschaftliches Controllingsystem bestehend aus einer integrierten Unternehmens- und Finanzplanung, die entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer Planung (GoP) erstellt wurde und einem aussagefähigen, monatlichen Berichtswesen mit den erforderlichen Plan-/Soll-Ist-Vergleichen, einer Abweichungsanalyse incl. der notwendigen Kommentierung.
Darüber hinaus ist diese Planung mit einer Simulationsrechnung nach dem anerkannten Monte-Carlo-Verfahren zu ergänzen. Babei werden quantifizierbare Einzelrisiken aggregiert und bewertet. Das Ergebnis zeigt die Auswirkung der Simulationsrechnung auf die Unternehmensliquidität.
Im Ergebnis können drei Ergebnisse differenziert werden:
- Es wird keine zumindest gravierende Krise festgestellt und die Insolvenzwahrscheinlichkeit liegt < 3 Prozent
- Es wird eine drohende bestandsgefährdende Entwicklung prognostiziert, da die Liquiditätsentwicklung im Prognosezeitraum, z. B. zwei Jahre, im zweiten Jahr einen Liquiditätsengpass aufweist
- Es ist eine bestandsgefährdende Entwicklung zu erwarten, die das Aufsetzen eines Restrukturierungsplans erforderlich macht, um den Eintritt einer Insolvenz zu vermeiden
Eine monatlich erarbeitete Finanzbuchhaltung und die daraus entwickelte BWA (betriebswirtschaftliche Auswertung), selbst wenn diese im betriebswirtschaftlichen Sinne vollständig wären, sind für eine Krisenfrüherkennung weder angemessen noch ausreichend.
Zusammengefasst geht es darum, bestandsgefährdende Entwicklungen, die sich erst durch die Kombination, bzw. Aggregation von Einzelrisiken ergeben, unter Anwendung der vorstehend beschriebenen Methode, rechtzeitig zu identifizieren.
Die aktuelle wirtschaftliche Situation und Entwicklung, die auch als Multi- oder Polykrise bezeichnet wird und die derzeit schon bestehenden Finanzierungsprobleme, gerade bei kleineren Unternehmen, können den weiteren Anstieg der Insolvenzfälle noch beschleunigen.
Dies sollte für verantwortlich handelnde Geschäftsleiter ausreichend Anlass sein, sofern bisher noch nicht geschehen, sich mit Risikomanagement und der Einführung eines Krisenfrüherkennungssystems zu beschäftigen.